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"Die Herausforderung besteht darin, unser eigenes Leben zu gestalten."Am 14. und 15. November 2005 stellte Anne Holt ihr neues Buch "Was niemals geschah" in Deutschland vor. Anlässlich der Lesung in Dortmund traf die Autorin das Literaturportal schwedenkrimi.de zum Interview. Wir erfuhren, warum es zu einem neuerlichen Vik/Stubø-Buch kam und warum Schmerz im Leben so wichtig ist.Literaturportal schwedenkrimi.de: "Was niemals geschah" ist das zweite Buch mit Inger Johanne Vik und Yngvar Stubø als Protagonisten. Seit dem ersten Buch sind vier Jahre vergangen. Was hat schließlich den Ausschlag gegeben, ein weiteres Vik/Stubø-Buch zu schreiben und nicht etwa ein weiteres Hanne Wilhelmsen-Buch? Anne Holt: Ich habe bereits vor vier Jahren entschieden, dass es mindestens drei Bücher mit Vik/Stubø geben soll. Dass genau dieses Buch ein Vik/Stubø-Buch wurde, hat damit zu tun, dass die Geschichte besser zu ihnen passt als zu Hanne Wilhelmsen. Der größte Vorteil mit zwei parallelen Serien ist, dass ich nach der Handlung der Geschichte entscheiden kann, wer sie bevölkert. Ich entwickle immer zuerst den Plot und das Rahmenwerk und danach entscheide ich dann, welche Protagonisten zur Geschichte gehören. "Was niemals geschah" ist ein typisches Vik/Stubø-Buch und kein Hanne Wilhelmsen-Buch. Literaturportal schwedenkrimi.de: In wiefern ist es ein typisches Vik/Stubø- Buch? Anne Holt: Wenn ich über Hanne Wilhelmsen schreibe, muss ich nahe am polizeilichen Geschehen bleiben. "Was niemals geschah" ist aber eher ein psychologischer Thriller, der daher besser zu Vik/Stubø passt. Literaturportal schwedenkrimi.de: Sie sollen mal gesagt haben, dass Sie Inger Johanne mehr mögen als Hanne Wilhelmsen. Was ist es, dass Sie an Inger Johanne mehr mögen als an Hanne Wilhelmsen? Anne Holt: Ich ganz persönlich mag Inger Johanne lieber, aber ich mag sowohl Hanne Wilhelmsen als auch Inger Johanne als Figuren in meinen Büchern. Ich mag es wirklich sehr, über Hanne zu schreiben, aber nicht im Moment. Augenblicklich möchte ich andere Geschichten erzählen, die besser zu Inger Johanne passen als zu Hanne - aber möglicherweise wird es ein Wiedersehen mit Hanne geben, vielleicht aber auch nicht, wer weiß Meine Geschichten jedenfalls sind viel wichtiger als meine Protagonisten. Es sind die Geschichten, die sich ihre Charaktere aussuchen, nicht umgekehrt. Literaturportal schwedenkrimi.de: Woher kommen denn all die Ideen für Ihre Geschichten? Anne Holt: Das fragt mich jeder und jedes Mal gebe ich eine andere Antwort. Ich weiß nicht recht, ich erfinde sie einfach. Das ist vielleicht das, was Talent genannt wird. Literaturportal schwedenkrimi.de: Inger Johanne ist ziemlich ängstlich. Was steckt hinter dieser Angst? Anne Holt: 95 Prozent der Frauen, die ich kenne, sind ängstlich. Das gehört einfach zur menschlichen Natur. Wenn ich Charaktere kreiere, überlege ich zuerst, welche Eigenschaften sie haben müssen, um meine Geschichte zu erzählen. Dann ist es mir natürlich wichtig, dass sie glaubwürdig sind. Meine Figuren sind ganz gewöhnliche Menschen. So ist auch Inger Johanne entstanden, keine große Sache eigentlich. Ich kenne keine Frau, die nicht ängstlich ist. Männer sind das auch, aber sie verstecken das besser. Literaturportal schwedenkrimi.de: Das Buch heißt "Was niemals geschah". Worauf genau bezieht sich das? Was ist es, das niemals geschieht?
Anne Holt: Das bezieht sich auf ein Phänomen in der westlichen Gesellschaft, das mich schon seit einiger Zeit beschäftigt. Es ist das Phänomen der Langeweile. Alle warten nur darauf, dass etwas' passiert, dabei sollte es für die Menschen Herausforderung genug sein, Mensch zu sein, sich zu verlieben, Kinder groß zu ziehen, ihren Job und ihre Pflicht zu tun, alt zu werden - all das sollte Herausforderung genug sein. Stattdessen haben wir in der westlichen Gesellschaft eine wachsende Faszination für extreme, physische Herausforderungen. Wenn man dann die Leute fragt, warum sie sich von einem mehrer Hundert Meter hohen Turm stürzen, sagen sie, weil sie dann spüren, dass sie leben. Der Titel "Was niemals geschah" meint, dass wenn wir darauf warten, dass etwas Aufregendes passiert, wird es nicht passieren. Die Herausforderung besteht darin, unser eigenes Leben zu gestalten. Es wird aber nicht passieren, wenn wir nur darauf warten, dass es passiert. Viele Menschen heute sind nicht mehr anwesend' in ihrem eigenen Leben. Wären sie das, würden sie merken, welch große Herausforderung das Leben an sich ist. Dann bräuchten sie keine extremen sportlichen Herausforderungen mehr. Literaturportal schwedenkrimi.de: Was glauben Sie, woher es kommt, dass so viele Menschen von ihrem eigenen Leben gelangweilt sind?
Ich glaube, das rührt von einem Mangel an Schmerz in ihrem Leben her. Das fängt schon im Kindergarten an. Da fällen sie die Bäume, damit die Kinder nicht auf die Bäume klettern, runter fallen und sich den Arm brechen können. Ich sage, lasst sie auf die Bäume klettern, lasst sie herunterfallen und sich den Arm brechen. Dann werden sie Schmerz spüren und verstehen, dass Schmerz zum Leben gehört und auch wieder vorbei geht. Die Abwesenheit von Sehnsucht und Schmerz verändert uns. Wir haben verlernt, zu akzeptieren, dass das Leben aus Hochs und Tiefs besteht. Die Anzahl junger Menschen beispielsweise, die Selbstmord begehen, ist in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen. Wenn man sich dann damit beschäftigt, was die Ursache für den Selbstmord war, sieht man, dass es häufig Kleinigkeiten waren, wie z.B. Liebeskummer. Diese Kids haben nicht gelernt, dass Schmerz und Kummer zum Leben gehörten, sie haben niemals zuvor Schmerz erlebt und glauben, er bleibt für immer, aber Schmerz und Kummer vergehen auch wieder, gehören zum Leben dazu. Literaturportal schwedenkrimi.de: Auf eine Art geht Ihr Buch auch der Frage nach dem perfekten Verbrechen'. Sie sind nun wahrlich eine Kriminalexpertin; ist das perfekte' Verbrechen wirklich möglich? Anne Holt: Das perfekte Verbrechen existiert nicht, weil Verbrechen an sich nichts Perfektes ist. Verbrechen ist unerwünscht, darum kann es nicht perfekt sein, aber natürlich kommen viele Leute ungestraft davon. Literaturportal schwedenkrimi.de: Empfinden Sie denn Sympathie oder Verständnis für den Mörder? Anne Holt: Empathie ist sehr wichtig. Die sollte man all seinen Mitmenschen entgegenbringen. Sympathie ist etwas anderes. Natürlich bringe ich dem Mörder keine Sympathie entgegen, aber ohne Empathie für all meine Charaktere zu empfinden, könnte ich kein Buch schreiben. Empathie ist eine sehr wichtige menschliche Eigenschaft, die es uns erst ermöglicht, mit anderen Menschen zu interagieren. Literaturportal schwedenkrimi.de: Vielen Dank für das Interview! Autorin: Alexandra Hagenguth/ © November 2005 - Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
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